Kolumnen  
DEUTSCH FüR SCHLAUBERGER

Wer einmal aufmerksam auf die Alltagssprache achtet, wird feststellen, in wieweit Worte, Begriffe und Sprachfetzen Eingang in die Sprache finden und von den meisten von uns wie selbstverständlich übernommen werden. Die jeweilige öffentliche Bekanntgabe vom "Unwort des Jahres" oder "Wort des Jahres" der Sprachforscher und Sprachpfleger macht uns zumindest etwas aufmerksamer für dieses Thema. Manches ist womöglich Ansichtssache, anderes wiederum erscheint bei näherer Betrachtung doch ziemlich fragwürdig. Hier ein paar Beispiele:

* Haben Sie schon einmal bemerkt, wie oft und selbstverständlich der Begriff "aller Zeiten" auftaucht ? Wenn es zum Beispiel heisst, Person x ist "der beste Gitarrist aller Zeiten ?" Wer garantiert uns, dass die Person xy der beste Gitarrist aller Zeiten, also auch für alle Zukunft ist ? Wir kennen die Zukunft nicht und wissen daher nie, ob es in der (fernen) Zukunft nicht noch Bessere ihrer Zunft geben wird.

* "Geht gar nicht" - momentan ein sehr beliebter Ausdruck; Wird immer dann verwendet, wenn etwas bereits geschehen ist, was jemandem nicht gefällt. Natürlich geht`s ! Sonst wäre es ja nicht passiert. Dazu fällt mir immer ein passendes Kindheits-Erlebnis ein: Als ich mit drei anderen Jungs über die Rasenfläche vor einem Siedlungshaus lief, sagte ein älterer Mann vom Fenster aus ziemlich massregelnd: "Hallo ihr, über den Rasen laufen geht nicht !" Mein Freund antwortete promt: "Sie sehen doch, dass es geht!" - Sehr zum Verdruss des älteren Herren. Dem schlagfertigen kindlichen Argument kam der ältere Herr in diesem Moment natürlich nicht bei, wie sollte er auch . . .

* "Wir wollen Sie davon überzeugen, dass" . . Vorsicht, wenn Sie diese Redewendung von der selben Person in einem Gespräch zweimal oder öfter hören ! Ein böses Wort ! Sollte man der Klarheit wegen mit Bindestrich schreiben: über-zeugen; Das Wort kommt ursprünglich von über-ziehen, von ziehen oder heraus ziehen. Zeugen kann man immer nur selber. Man selbst kann nur immer etwas erzeugen, etwas erschaffen. Wenn jemand anderes Sie überzeugen will, dann bedeutet das, dass Sie jemand "über-ziehen" will, es will Ihnen jemand etwas auf-oktroyren, was Sie nicht selber sind.

* Enttäuscht; Hier haben wir eher das Gegenteil. Seien Sie froh, wenn Sie ent-täuscht werden ! Das ist im ersten Augenblick natürlich in der Regel schmerzhaft, aber im Grunde erhellend und reinigend. Wenn jemand ent-täuscht wird, dann hat er sich vorher täuschen lassen. Durch die Ent-täuschung kam das Falsche, die Täuschung ans Licht und die Wahrheit kann nun erkannt werden;

* Grosses Kino Gibt es auch kleine Kinos ? Grosses Kino - wie gross soll`s denn sein ? 4 Meter hoch und 30 Meter breit ? Gemeint ist doch offensichtlich ein herausragender, ein besonders gut gelungener Film. Sprechen wir deshalb lieber, wenn schon, von gross-artigen Filmen.

* Gleiche Schnittmengen Wer hätte vermutet, dass sich diese Wortwahl einmal in die Politik verirrt ? Die Parteien X und Y ". . . haben gleiche Schnittmengen . . " Schnittmengen gibt es in der Lebensmittel-Verarbeitung, der Landwirtschaft, in der Papierverarbeitung. Mir persönlich ist der Begriff ziemlich konkret gegenwärtig, wenn hier unsere quiekenden Meerschweinchen nach ihren - jawohl - nach ihren Schnittmengen verlangen !

* WENIGER IST MEHR
Gelegentlich sehe ich mir immer mal wieder Videos von Drummer-Legenden an, die trotz aller Versiertheit das musikdienliche, reduzierte Spiel praktizieren. Steve Gadd ist so einer; Unter anderem beherrscht er meinsterhaft DIE KUNST DES WEGLASSENS. Wird dadurch aus "dem Wenigen Mehr ?" Nein. Ist weniger mehr ? Nein. WENIGER IST . . . WENIGER !

* IN ALTER FRISCHE
Wie bitte ? Wie kann etwas Altes frisch sein ? Klar, man kann etwas einfrieren, damit es "frisch" bleibt. Bei Lebensmitteln z.B. finden trotz Frischhalte-Lagerungen trotzdem Abbau-Prozesse statt. Richtig neu und frisch bleibt so auf Dauer nichts.
Also, bis bald wieder - IN NEUER FRISCHE !

* MINUS MAL MINUS ERGIBT PLUS
Redewendungen mit doppelter Verneinung erwecken den Anschein, als wenn die doppelte Verneinung immer zu einem "ja" führt;
Versuchen wir`s:
"Sag` niemals nie" (James Bond - Filmtitel)

"Ich behaupte das Gegenteil vom Gegenteil"

"Nichts ist unmöglich"

Die doppelte Bejahung dagegen scheint die Bejahung zu erhalten:
"ja, doch, ja, doch"

"Das ist wirklich wahr"

"Es ist wahr, ich schwör`s"

* DIALOG DER WOCHE
Gisbert Fimmel (G) und Bärbel Krusti (B) kommen zu Wort
Heute: Wortsprünge - es lebe die Vielfalt !

G: Du Kanaille (gesprochen: Ka-nal-je)

B: Ich dachte, das heisst "Du Kanarie;"

G: Ach, Kanarie, so heisst doch ein Vogel - Kanarienvogel !

B: So ? Ich dachte immer, der heisst "Kanalvogel."

G: Mensch, Kanal ist etwas, durch das etwas hindurch fliesst.

B: Na, es heisst ja auch "Jetzt hab`ich den Kanal voll."

G: Ja - den Kanal voll hat zum Beispiel jemand, der "abgefüllt" ist, der zuviel Alk getrunken hat.

B: Zuviel ?

G: Ja, zuviel ! Denken wir dabei doch mal an den alten Herrn Hartmann, den "Vielfältigen."

B: Na, denn - es lebe die Vielfalt !



*DIALOG DER WOCHE

Gisbert Fimmel (G) und Bärbel Krusti (B) kommen zu Wort Heute: Friseuse oder Friseurin ?

G: Gegen Ende der 1960er-Jahre hatten sich die jungen Männer der Hippy-Generation ganz schön verweiblicht - mit langen Jahren und auch, das allgemeine Autreten und den Umgang betreffend. Und seit, ich weiss gar nicht so genau ab wann, na ja, irgend wann ab den 1990er Jahren ist das Gegenteil eingetreten - die Frauen haben sich mehr und mehr vermännlicht, vom Aussehen bis zum Auftreten und dem Hineintreten in männliche Domänen. Die spielen ja jetzt auch Fussball, manche boxen auch. Das alles hat sich auch auf die Sprache ausgewirkt.

B: Kannst Du mal ein Beispiel nennen ?

G: Ja, zum Beispiel war die Berufsbezeichnung für einen Mann "Friseur" und für eine Frau entsprechend "Friseuse." Un nu - wollen viele Frauen "Friseurin" sein. Mmh, Friseuse klingt für mich natürlich, Friseurin klingt irgendwie komisch.

B: Warum ?

G: Friseuse klingt nach weiblich, Friseurin klingt irgendwie so, als wenn das Weibliche nicht mehr eigenständig für sich steht, sondern dem männlichen angepasst wird, als wenn sich die Frau vermännlicht. Das ist so, als wenn man zur Frau "Männin" sagt - also nicht Mann und Frau, sondern Mann und Männin . . . Dasselbe gilt für Masseur und Masseuse, jahrzehntelang normale, gängige Begriffe und heute heisst es eher Masseur und Masseur i n.

B: Irgendwie scheint das an der Endsilbe "i n" zu liegen, das ergibt sich aus der deutschen Sprache. Wie kommen dir denn die Begriffe Koch und Köchin vor und Kellner/Kellnerin ?

G: Merkwürdig, das wiederum klingt ziemlich natürlich und normal ! Bei Polizist/Polizistin "stimmt" das alles auch noch, aber . . . bei der "Politesse" wird`s schon wieder knifflig. Da haben wir die Politesse und müssten ja einen . . . "Politeur" haben. Haben wir aber nicht, die männliche Bezeichnung lautet offiziell "Hilfspolizist." Die Sprachgestalter wissen sich da nicht anders zu helfen.

B: So weit ich weiss, ist der Begriff "Politesse" eine Sprachschöpfung aus "Polizei" und "Hostess." Da kommt dann halt sowas dabei heraus.

G: Jetzt fällt mir auf, das wir das Gleiche haben bei "Steward" und "Stewardess." Der weibliche Begriff müsste ja dann "Stewardin" heissen.

B: Ja, für den Fall ist die Berufsbezeichnung "Flugbegleiterin" geschaffen worden. Schau` mal nach bei Berufsausbildungs-Anzeigen, da steht es überall so geschrieben, "Ausbildung zur Flugbegleiterin." Der Begriff "Stewardess" kommt da gar nicht mehr vor.

G: Mmh, irgendwie haben wir insgesamt ein schönes Durcheinander bei den Berufsbezeichnungen, bei der männlichen und weiblichen Zuordnung. Das ist mal so, mal so . . . Die lateinischen Sprach-Silben würden uns da vielleicht weiter helfen und die Sache vereinfachen.

B: Ja, die machen die Sache einfacher, z.B. mit der Endsilbe "a." So haben wir z.B. einen Latino und eine Latina.

G: Und im deutschsprachigen klappt das bei der Namensgebung auch wunderbar - wir haben "Paul" und Paula," "Michael" und Michaela," "Peter/Petra," usw. Mit dem "e" hinten haben wir da auch immer Klarheit - "Gabriel und Gabriele," "Paul/Pauline," "Wilhelm/Wilhelmine" . . .

B: Soweit ich weiss, gibt es mittlerweile im Berufsbereich auch die Bezeichnungen "Magister" und "Magistra." Ist das nix ?

G: Doch, schon, das klingt schon besser. Wie fing das Ganze hier nochmal an ? Ach ja, der Ausgangspunkt war "Mann - Frau."

B: Genau in diesem Sinn haben wir heutzutage den "Kaufmann" und . . . die "Kauffrau."

G: Na, soweit, so gut !